Die Genetik unterscheidet in der Onkologie zwischen erblich bedingten (z.B. Li-Fraumeni-Syndrom, Neurofibromatose, familiäres Mamma- oder Kolonkarzinom) und sporadisch erworbenen Tumorerkrankungen (z.B. sporadisches Mamma- oder Kolonkarzinom). Von zentraler Bedeutung ist dabei die Akkumulation genetischer und epigenetischer Veränderungen, die zur Entstehung einer Zellpopulation mit malignem Phänotyp führen. Entsprechend der Theorie der Multistep-Karzinogenese wird das Tumorwachstum im Anschluss an initiale, transformierende Ereignisse des Genoms, die vor allem mit Veränderung der Aktivität regulatorischer Gene (Protoonkogene, Tumorsuppressorgene) einhergehen und die durch eine prädisponierende Keimbahnvariante, äußere Einflüsse (z.B. Rauchen, Chemo-/Strahlentherapie) oder spontan ausgelöst werden können, durch weitere, sekundäre genetische Modifikationen im Laufe der Tumorprogression stimuliert. Bekannte, charakteristische genetische Veränderungen, wie z.B. Translokationen, Amplifikationen oder Deletionen sind für die molekulare Klassifizierung von Tumoren, wie auch für die Früherkennung von Rezidiven, hilfreich und inzwischen teilweise auch Bestandteil der WHO-Klassifikation.
Erblich bedingte Tumorerkrankungen machen nur etwa 5% aller Tumorerkrankungen aus. Wenn die genetische Veränderung, die zu der jeweiligen Tumorerkrankung disponiert, bekannt ist, kann sie direkt an einer Blutprobe nachgewiesen werden, da sämtliche Zellen des Organismus die genetische Veränderung tragen. Anlageträger sind in der Regel heterozygot und bleiben asymptomatisch, bis zufällig das zweite, noch intakte Allel durch eine weitere Mutation (“second hit”) inaktiviert wird (“Loss of Heterozygosity”, LOH). Dies führt bei Tumorsuppressor-Genen zu einem unkontrollierten Zellwachstum und der Entstehung eines malignen Zellklons. Spontanmutationen können allerdings auch zur Aktivierung von Wachstumsfaktoren (Protoonkogene) führen, wodurch es ebenfalls zu einem ungehemmten Wachstum kommt. In den meisten Fällen ist das Risiko, im Laufe des Lebens an einem Tumor zu erkranken, für Träger einer Keimbahnvariante sehr hoch. Anlageträgern sollten engmaschige Vorsorgeuntersuchungen, ggf. präventive chirurgische Maßnahmen und eine psychoonkologische Betreuung angeboten werden.
Bei den erworbenen Tumoren, die mit über 95% die überwiegende Mehrheit aller Krebserkrankungen darstellen, ist eine Analyse von zellulärem Tumormaterial (z.B. Biopsat oder tumorhaltige Körperflüssigkeiten) notwendig, um eine Aussage über die genetischen Alterationen der Tumorzellen treffen zu können. Tumorzellen, insbesondere Zellen fortgeschrittener Tumoren, sind durch eine Instabilität des Genoms gekennzeichnet, d.h. es finden sich stets Zellen mit unterschiedlichem Entartungsgrad. Ausgangspunkt einer individualisierten Medizin ist die umfassende, rasche und präzise Bestimmung der Krankheitsentität mittels einer integrierten, d.h. facharztgruppenübergreifenden, Diagnostik. Hierbei kommen sämtliche zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden stufenweise zum Einsatz: am Anfang steht üblicherweise die morphologische Diagnostik (Histologie, Zytomorphologie), gefolgt von Immunphänotypisierung und genetischen Verfahren (Zyto- und Molekulargenetik), um sämtliche prognostisch und therapeutisch relevante Biomarker zu identifizieren. Die Genetik kann dabei einerseits eine präzisere Charakterisierung und somit Differenzierung klinisch relevanter Subgruppen, andererseits – durch die Identifikation patienten- und erkrankungsspezifischer Biomarker – die Entwicklung und den Einsatz zielgerichteter Therapien ermöglichen.
In der Diagnostik hämatologischer Neoplasien kann der Einsatz des gesamten Spektrums morphologischer, biochemischer, zytogenetischer und molekulargenetischer Untersuchungsmethoden für eine sichere und differenzierte Diagnose, optimale Therapie und korrekte prognostische Einschätzung notwendig sein. Das große Blutbild und in den meisten Fällen die Untersuchung des Knochenmarks mit zytochemischer Färbung, zytomorphologischer (manueller) Differenzierung und ergänzenden genetischen Untersuchungen dienen nach wie vor als Ausgangspunkt für die weiterführende Diagnostik. Bei vielen hämatologischen Neoplasien können die Linienzugehörigkeit bzw. der Ursprung der malignen Zellen, aber auch funktionelle Defekte zusätzlich anhand der Identifizierung von zellulären Oberflächenmarkern (CD-Antigene) mittels Durchflußzytometrie und aus molekularen Markern abgeleitet werden.
Die Chromosomenbänderungsanalyse ist trotz neuer labordiagnostischer Verfahren in der Genetik häufig noch als Goldstandard anzusehen und wird zum Nachweis somatischer klonaler chromosomaler Veränderungen eingesetzt. Daneben kann eine FISH-Analyse (Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung) mit spezifischen Sondensets hilfreich sein, um Krankheits-relevante Regionen näher zu begutachten.
Für die Mehrzahl der hämatologischen Neoplasien existieren neben den zytogenetischen Veränderungen molekulare Marker mit etablierter klinischer Relevanz, die immer mehr Berücksichtigung in Leitlinien und in der WHO-Klassifikation erhalten. Aufgrund der unterschiedlichen Nachweisverfahren sind die zytogenetische und die molekulargenetische Diagnostik als komplementäre Verfahren anzusehen.
Solide Tumoren machen >90% der malignen Erkrankungen aus, wobei Karzinome (epitheliale Neoplasien) und Sarkome (mesenchymale Neoplasien) die wichtigsten histologischen Subgruppen darstellen. Mischformen aus Karzinomen und Sarkomen (Karzinosarkome) sind selten. Diagnostik und Therapie der verschiedenen Entitäten orientieren sich am betroffenen Tumortyp sowie bei molekular zielgerichteten Therapien zunehmend an genetischen Veränderungen im Tumor.
Der Facharztbereich Pathologie am MVZ Martinsried befasst sich schwerpunktmäßig auch mit molekularpathologischen Fragestellungen. Dazu werden Biopsien nach Fixierung in Formalin eingebettet bzw. gelagert, da neben einer histologischen und immunhistochemischen Begutachtung von formalinfixiertem Paraffinmaterial auch molekularpathologische Analysen möglich sind. Auch Stanzen und Einzelschnitte können analysiert werden.
Für zahlreiche solide Tumoren sind (z.T. subgruppencharakteristische) molekulare Aberrationen beschrieben, die als Grundlage zielgerichteter Therapien (z.B. Tyrosinkinaseinhibitoren bei EGFR mutierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen oder gegen HER2neu gerichtete Antikörper bei Her2neu überexprimierenden Mammakarzinomen) und auch für die Prognoseabschätzung relevant sein können. Bei Tumoren, bei denen wenig Material zur Verfügung steht, z.B. Biopsie beim NSCLC, empfiehlt sich eine sensitive, parallele Analyse einer Vielzahl an Varianten, ggf. mit Bestimmung der Tumormutationslast (TMB) und der Mikrosatelliteninstabilität (MSI), für eine individuelle Behandlung auf Grundlage der spezifischen molekularen Marker und somit für einen personalisierten Ansatz. Falls keine Biopsien gewonnen werden können, kann heutzutage versucht werden, krankheitsrelevante Varianten auch aus zirkulierender Tumor-DNA im peripheren Blut (sog. Liquid Biopsy/Liquid Profiling) zu identifizieren.
Da die Grenzen zwischen erworbenen und erblichen Tumorerkrankungen immer mehr verschwimmen (z.B. BRCA1/2-Varianten beim Ovarial- und Mammakarzinom zur Therapieeinleitung mit PARP-Inhibitoren) ist die enge Zusammenarbeit zwischen Onkologen, Pathologen, Humangenetikern und Naturwissenschaftlern im Sinne einer modernen, fachübergreifenden Diagnostik überaus wichtig.