Das klassische Rett-Syndrom, eine X-chromosomal-dominante neurodegenerative Erkrankung, betrifft hauptsächlich Frauen und führt zu einem Verlust erworbenen Fähigkeiten zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat. Es wird primär durch pathogene Varianten im MECP2-Gen verursacht. Atypische Formen können durch Varianten im CDKL5- oder FOXG1-Gen entstehen. Bei Rett-Syndrom-ähnlichen Erkrankungen empfiehlt sich eine NGS-Paneldiagnostik zur genaueren Diagnose und Prognosebestimmung.
Das klassische Rett-Syndrom ist eine X-chromosomal-dominante neurodegenerative Erkrankung (Häufigkeit 1:10.000), die überwiegend beim weiblichen Geschlecht auftritt. Beim klassischen Verlauf verlieren die Kinder nach zunächst unauffälliger Entwicklung zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat bereits erworbene Fähigkeiten, v.a. sinnvolle Handfunktionen, sprachliche Äußerungen und soziale Interaktion. Ein Leitsymptom ist die Entwicklung stereotyper Handbewegungen. Weitere Symptome sind verzögertes Wachstum, Mikrozephalie, Gangataxie, Episoden von Apnoe oder Hyperpnoe, Schlafstörungen, zunehmende Skoliose und Krampfanfälle. Die wenigen männlichen Betroffenen zeigen überwiegend eine schwere neonatale Enzephalopathie. Das klassische Rett-Syndrom wird durch pathogene Varianten im MECP2-Gen hervorgerufen.
Nicht-klassische, atypische Formen des Rett-Syndroms mit früh einsetzenden Krampfanfällen können durch pathogene Varianten im CDKL5-Gen verursacht sein. Das atypische Rett-Syndrom wurde erstmals 1985 bei einem Mädchen mit BNS-Krämpfen und mit einer im späteren Verlauf dem klassischen Rett-Syndrom sehr ähnlichen Klinik beschrieben. Die bisher beschriebenen Patienten sind hauptsächlich durch eine früh einsetzende therapieresistente Epilepsie und im späteren Verlauf durch eine schwere psychomotorische Entwicklungsretardierung gekennzeichnet. Neben den BNS-Anfällen kommen auch andere Anfallsformen vor; das EEG ist nicht typisch, sondern abhängig von Alter und der Anfallsform. Anders als beim Rett-Syndrom gibt es keine Anfangsphase mit scheinbar normaler Entwicklung.
Die diagnostischen Kriterien nach Artuso et al. (2010) sind:
Seit 2005 ist bekannt, dass Varianten im CDKL5-Gen (Xp22) für dieses X-chromosomal-dominante, atypische Rett-Syndrom ursächlich sind. Das CDKL5-Gen codiert für das Cyclin Dependent Kinase-like 5 Protein, das zusammen mit dem Methyl-CpG-Binding Protein 2 (MECP2) eine wichtige Rolle in der Regulation der Genexpression durch Methylierung spielt. Pathogene Varianten im CDKL5-Gen führen zur fehlerhaften Regulierung der Expression von verschiedenen Genen.
Desweiteren konnten später bei weiblichen und männlichen Patienten mit einer “kongenitalen Variante” des Rett-Syndroms bzw. auch bei Patientinnen mit Symptomen eines klassischen Rett-Syndroms (ohnepathogene MECP2-Variante) pathogene Varianten im FOXG1–Gen nachgewiesen werden. Patienten mit pathogenen FOXG1-Varianten zeigen u.a. eine mit schwerer Entwicklungsstörung einhergehende variable Klinik. In Genotyp-Phänotyp-Studien konnte gezeigt werden, dass bei dieser Patientengruppe immer eine schwere Mikrozephalie (-4 bis -6 Standardabweichungen) vorliegt.
Pathogene Varianten im FOXG1-Gen wurden sowohl bei klassischen als auch bei atypischen Formen des Rett-Syndroms beschrieben und zeigen eine sehr große klinische Heterogenität. In den letzten Jahren wurden noch einige weitere Gene entdeckt, in denen pathogene Varianten beschrieben wurden, die zu Rett-Syndrom-ähnlichen Krankheitsbildern bzw. Verläufen führen können. Bei Patienten mit Rett-Syndrom-ähnlichen Erkrankungen kann daher eine NGS-Paneldiagnostik indiziert sein, die im Einzelfall zur Diagnose und damit zu genaueren Aussagen zur Prognose und zum Wiederholungsrisiko führen kann.
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